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Spurensuche in Korea: In Seoul ist Berlin hip – das zeigt sich überall

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Unser Autor lebte zehn Wochen in Seoul. In der Bar „Berlin“ traf er Menschen aus allen Teilen Koreas. Für Interviews schenkte er ihnen Bröckchen der Berliner Mauer. Das brachte manche fast zum Weinen. Von Sören Kittel

Es gab diesen Abend, Anfang Juni, hier in Seoul, der genau in der Mitte meiner Zeit in Südkorea lag. Ich saß mit Junghwa und Jongwon (Koreaner), Julia und Sophie (Franzosen), Venice und Joe (Amerikaner) und noch ein paar mehr auf dieser Dachterrasse und alle diskutierten laut. Die meisten waren seit dem Nachmittag hier oben, genau über der Bar mit dem Namen „Berlin“.

Auf der einen Seite war der „Namsan“-Turm zu sehen. Wenn ich mit den Augen blinzelte, sah er aus wie der Berliner Fernsehturm. Auf der anderen Seite war der blaue Eingangs-Torbogen zum Stadtteil Itaewon zu sehen, mit der Aufschrift „Welcome to Korea“. Als ob alle, die in diesem Stadtteil wohnten, noch einmal daran erinnert werden sollten, wo sie sind.

Dabei lassen die koreanischen Schriftzeichen keinen anderen Schluss zu: Dort drüben ist Gangnam, der Stadtteil aus dem YouTube-Hit. Und das hier ist Seoul, die zweitgrößte Metropole der Welt, laut, hektisch und doch voller Tempel.

Man kann in der Stadt tolle Fotos machen, in denen „Tradition“ und „Moderne“ gleichzeitig auftauchen. Alt und Neu, Mobiltelefon und offene Feuerstelle im Restaurant. Alkoholleichen auf der Straße, daneben Frauen, die in engen Designer-Kleidern entlangstöckeln. Karaoke und Videospielhallen. Und: Nur 50 Kilometer entfernt, im Norden, liegt die wohl gefährlichste Grenze der Welt.

Als Ostdeutscher im geteilten Land

Es wurde langsam dunkel über Seoul und der Bar „Berlin“ an diesem Abend, und die Regenzeit hatte noch nicht begonnen. Manchmal roch es schon danach. Alle redeten bereits vom: „Monsun“, fast so häufig wie von der möglichen Wiedervereinigung.

So als sei allen klar, dass es alles nicht ewig so weitergehen konnte, dieses leichte Leben, das hier die meisten Nicht-Koreaner führen: die günstigen Zigaretten, der Wein, das gute koreanische Grill-Fleisch, das viele Taxi-Fahren, das Reden über die neueste Folge „Game of Thrones“ – und dann in fließendem Themenwechsel über das Nachbarland Nordkorea, mit dem vor genau 60 Jahren ein Waffenstillstand vereinbart wurde.

Zu diesem Land hat jeder eine Meinung, egal, wie lange er hier wohnt: „Das wird in zehn Jahren nichts“ / „Die halten keine fünf Jahre mehr durch“ / „Hoffentlich gibt es nie eine Wiedervereinigung, das wäre viel zu teuer.“

Ich war mit einem Stipendium zehn Wochen lang in Seoul, auch um für mich herauszufinden, wie es sich anfühlt, als ehemaliger Ostdeutscher wieder in einem geteilten Land zu sein. Geteilter Himmel, geteilte Geschichte, eine Sprache, die sich auseinander entwickelt.

Im Gepäck hatte ich 30 Berliner Mauerstücke aus einem Touristenladen Unter den Linden (4,50 Euro pro Stück). Ich wollte sie bei Interviews verteilen, sehen, wie die Menschen auf dieses Stück Geschichte reagieren – auch wenn Berliner schon längst deren Echtheit anzweifeln. Aber was zählt das, 8000 Kilometer entfernt.

Berlin gilt in Seoul als hip

Der Erste, der ein Mauerstück bekam, war Darrell Mahoney von der Bar „Berlin“. Dabei hatte er seine Bar noch nicht einmal wegen der Teilung so genannt. Berlin gilt eben als hip.

Als ich sagte, dass doch gerade jeden Tag etwas Neues aus dem Norden zu hören sei, nickt Darrell nur. Er wohnt seit 16 Jahren hier. Ihn überrascht nichts mehr. Die „Korea Times“ titelte gerade etwas von möglichen Gesprächen zwischen Süd und Nord. Ich wusste noch nicht, dass es so jeden Tag sein würde.

Vielleicht lag es daran, dass sich mein Handy bei jedem Besuch an das W-Lan-Passwort („Berlin11“) erinnerte. Oder daran, dass ich einen Gutschein bekam, den ich bis heute uneingelöst in der Tasche mit mir herumtrage.

Oder es lag einfach daran, dass „Berlin“ einfach wirklich nahe bei meiner Wohnung lag, nur drei Minuten zu Fuß. Jedenfalls waren die ersten vier Wochen in Südkorea noch sehr „Berlin“-geprägt.

Die Gentrifizierung erinnert an Neukölln

Die Bar „Berlin“ ist auch ein Zeichen dafür, wie sich dieser Stadtteil in Seoul verändert – die Gentrifizierung Itaewons ist der von Neukölln nicht unähnlich. Noch vor zehn Jahren gab es hier keine internationalen Restaurants, aber die wohl bunteste Bevölkerung Südkoreas: Afrikaner, Südostasiaten und vor allem Amerikaner, wegen der angrenzenden Militärbasis.

Nach und nach öffneten die ersten Bars und Restaurants, die aber nur Itaewoner als Zielpublikum hatten, also englischsprachiges Publikum. Dann aber entdeckten die Koreaner dieses Viertel für sich, öffneten eigene Restaurants und bevölkern jetzt abends die Straßen – sodass schon erste Itaewoner wieder ausgezogen sind, weil es ihnen zu laut wurde. Oder sie rufen die Polizei.

Im Mai, bis zu dem Abend auf der Dachterrasse, traf ich viele Menschen in Seoul und sprach über Wiedervereinigung. Ich hörte Pläne der koreanischen Wirtschaftsberater („Wir müssen mehr über die Kosten der Teilung sprechen als über die Kosten der Wiedervereinigung“) oder Ideen, wie südkoreanische Politikexperten die kleinen Veränderungen in Nordkorea wahrnehmen: „Seit 2009 hören wir, dass Nordkoreaner sich immer wieder auch offen über ihre Regierung beschweren, das gab es vorher nicht.“

Und ich traf Nordkoreaner, die Geschichten von Flucht und Angst erzählten, die aber auch voller Selbstbewusstsein waren, dass sie im Süden eine Aufgabe finden, einen Job, eine Familie gründen. Als die 48-jährige Frau Nam, eine ehemalige Soldatin aus Pjöngjang, das Stück Berliner Mauer in die Hand nahm, war sie die Einzige, die beinahe geweint hätte.

Die Teilung prägt die ganze Gesellschaft

Nach solchen Tagen fühlte es sich einfach gut an, abends die „Berlin“-Crew zu treffen, nicht immer am selben Ort, aber doch irgendwo in der Nähe des Namsan-Turmes, im „Bao“, im „Burn“ oder im „Berlin“.

Seoul ist trotz seiner viel steileren Hügel und der makellosen U-Bahn fast wie Berlin in seine Kieze unterteilt. Wären nicht die Lichter der Hochhaussiedlungen hinter dem Fluss, man könnte fast denken, es ist eine Kleinstadt mit sehr steilen Straßen, Kirchenkreuzen, Menschen, die joggend Hunde ausführen, sogar die größte Moschee Südkoreas findet hier noch Platz.

Je mehr Mauerstücke ich verteilte, je weiter der Juni zu Ende geht, umso mehr merkte ich, dass die Teilung dieses Landes Auswirkung auf die ganze Gesellschaft hat, von der Esskultur (es gibt einzelne Restaurants für nordkoreanische Küche), über Museen (die zeigen bei Kulturobjekten immer die gesamtkoreanische Karte) bis hin zur Seouler Start-up-Industrie (es gibt eine App für Nordkoreanerinnen, die Südkoreaner kennenlernen wollen).

„Es liegt an Nordkorea“, sagt der Social-Media-Entrepreneur Richard Minh, „dass Südkorea so viel Angst hat, genauen Daten über seine Bürger zu erheben oder sie zu nutzen.“ Diese Angst behindere seine Arbeit extrem, weil gerade bei sozialen Medien das Erheben von Daten Teil des Geschäfts ist.

Selbst bei dem Flugzeugunglück der südkoreanischen Airline „Asiana“, bei dem zwei Menschen starben, gab es einen Nordkorea-Faktor: Experten vermuten, dass Piloten deswegen weniger Flugerfahrung haben, weil es keine zivile Luftfahrt gibt, wie in Europa beispielsweise. Aus Angst vor dem Nachbarn hat sich das Hobby „Segelfliegen“ in Korea nie ansiedeln können.

Niemand weiß, was passieren wird

Ich kam schließlich seltener ins „Berlin“ und wenn, dann nur, um einen Text zu schreiben oder mit Kopfhörern Interviews abzutippen. Eine Südkoreanerin kam regelmäßig, um allein Bier zu trinken, auf ihrem Handy herumzutippen und dann, sturzbetrunken, nach Hause zu gehen.

Der Kellner, der eigentlich als Model arbeiten will, weiß, wie ich den Kaffee mag, und ich vermisste es fast, herzukommen, wenn ich die Stadt verließ: Wenn ich in Busan einen Tempel anschaute oder mit deutsch-koreanischen Heimkehrern in Namhae sprach oder am Rande eines riesigen Kraters auf der Insel Jeju aufs Meer blickte. Für einen Augenblick ist dann Nordkorea wirklich weit weg.

Dann kam der Regen. Seit ein paar Tagen hört es kaum mehr auf, auch als ich meinen Abschied feierte, trommelte es gegen die Scheiben vom „Berlin“. Julia, Sophie, Junghwa, Darrell und Jongwon und Joe – und all die anderen waren da und ich spielte ihnen das Lied vor, das ich hörte, als ich Berlin vor rund zehn Wochen verlassen habe.

Auf dem Weg zur Prenzlauer Allee lief damals „Bye bye Berlin“ der Band „Tele“ auf den Kopfhörern. Die Stimme des Sängers ist einen Tick zu weinerlich und der Text vielleicht schon zu kitschig, aber es gibt Momente, da trifft er genau den richtigen Punkt.

Sie zünden ihre Zigaretten mit Streichhölzern aus „Berlin“-Schachteln an und lesen auf Englisch den übersetzten Text von „Bye Bye Berlin“ mit. Es gibt Stellen im Lied, die passen besser hierher, nach Seoul. „Und der Himmel lädt sich auf mit Werbung / Sie schickt ihre Strahlen auch hinter blinde Fassaden / Ich weiß, ich bin hier um zu lernen/ Und zwar mehr als nur Öffnungszeiten, Preise und Straßennamen.“

Die Umarmungen waren etwas fester als sonst, die Musik an diesem Abend vielleicht etwas zu laut für andere Gäste, aber das liegt auch daran, dass wirklich niemand weiß, was alles passieren kann, ob 50 Kilometer entfernt oder 8000. Dieser Norden, dieser Norden.

 

Ursprünglich veröffentlicht:

www.welt.de/reise/staedtereisen/article118101569/In-Seoul-ist-Berlin-hip-das-zeigt-sich-ueberall.html


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